Italienische Schönheit, italienisches Design, italienische Manufakturen und spätestens bei italienischer Lebensart denkt man an die unvergleichliche Kaffeekultur, die sich durchs ganze Land und durch alle Gesellschaftsschichten zieht. Um über Italien zu sprechen, den Kaffee und das Glück im Allgemeinen, kann man landauf landab keinen eloquenteren Gesprächspartner finden als Andrea Illy.
Von Susanne Filter
Nicht nur als Inhaber von illycaffè, eine der weltweit größten und bekanntesten Kaffeemanufakturen, oder als Präsident der Altagamma, sondern auch als studierter Feingeist und Doktor der Chemie ist seine Expertise weit gefächert und erlaubt uns einen Blick nach Italien mit weit offenen Türen zum eigenen Glück.
Wissenschaft vereint mit Sinnlichkeit und Emotion, sind die Fundamente der Unternehmensführung im Illy Clan, was nicht nur zu besonderem Erfolg, sondern vor allem auch zu einer besonderen und interessierten Sichtweise geführt hat. So sind die Erkenntnisse von Andrea Illy international relevant und rufen dazu auf, sich geistig zu bewegen und bewusst neue Pfade zu beschreiten. In Trieste, dem Familien- und Firmensitz von Illy, trafen wir uns zu einem intensiven Gespräch.
Herr Illy, Ihr Büro erinnert an das Büro Ihres Vaters. Es ist nahezu identisch. Wie fühlt es sich für Sie an? Beeinflusst es Ihr tägliches Denken?
Ja, auf jeden Fall. Wir hatten die gleiche Denkweise und auch die Möglichkeit, 15 Jahre lang zusammenzuarbeiten, bis er sich im Alter von 64 Jahren dazu entschied, aus der Geschäftsführung zurückzuziehen. Danach war er da, um uns zu unterstützen. Er war wie ein Beobachter des Unternehmens und immer noch verantwortlich für die großen Entscheidungen. Ich habe 14 Jahre lang mit ihm als Vorsitzenden zusammengearbeitet.
Und es war nicht schwer für Sie, so lange mit Ihrem Vater zusammen zu arbeiten? Denn Familybusiness hat seine eigenen Tücken.
Nein, es war überhaupt nicht schwierig. Wir haben seit der Gründung des Unternehmens klare Grundsätze: Zunächst ist das Unternehmen nicht für die Eigentümer da, sondern die Konsumenten bestimmen indirekt die Geschicke. Das Unternehmen ist da, um unseren Kunden zu dienen. Der Konsument ist der Chef, weil er derjenige ist, der bezahlt. Wir verkaufen täglich acht Millionen Tassen Illy-Kaffee, also täglich acht Millionen Menschen die wir immer wieder überzeugen müssen. Das Unternehmen wurde aus einem Traum meines Großvaters geboren. Er war ein Genie, obwohl er weder ein Ingenieur, noch ein Arzt war. Aber er war ein Erfinder, der durch die Inhalte seiner Erfindungen eine eigene Philosophie entwickelte. Unsere Familie gründete das Unternehmen mit dem Traum, den besten Kaffee der Welt anzubieten. So wollte er die Marke von Anfang an so weit vorne positionieren, dass er das Unternehmen mit zwei der relevantesten Patente versorgte, die später die Geschäftsstrategie des Unternehmens buchstäblich für immer forcierten. Er erfand den Illett, ein Vorläufer der modernen Espresso-Maschinen, sowie ein Überdruckverfahren in den Dosen damit die Bohnen wie ein guter Rotwein konserviert bzw. noch besser werden können. Mein Großvater riet meinem Vater, Chemie zu studieren, was zur Zeit des Zweiten Weltkriegs wie Alchemie war. Also studierte er Chemie in Bologna, unter Bombenhagel, um besseren Kaffee trinken und produzieren zu können. Die Komplexität an Wissen, die es für Kaffee benötigt, ist erstaunlich, denn es beginnt vom Boden auf dem die Pflanzen wachsen bis zum menschlichen Körper. Es ist eine eigene Wissenschaft.
Wie ist es heutzutage? Nutzen Sie immer noch neue Technologien?
Auf jeden Fall. Wir haben vier Innovationsbereiche. Einer davon ist die Biologie. Das jüngste Projekt war die Kartierung des Genoms des Arabica-Kaffees. Das ist eine Ressource, die jetzt der Weltkaffeeforschung zur Verfügung steht. Wir haben dies getan, um die Entwicklung von Hybriden zu beschleunigen.
Der zweite Bereich ist der Bereich Engineering und beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Praktiken, der Verarbeitung, Aufbereitung und Verpackung. Eine wichtige Erneuerung ist das sogenannte Iperespresso Kapsel-System. Um noch mehr Aroma in der Crema zu erhalten, haben wir unser altes System neu erfunden.
Der dritte Bereich ist die Chemie, eine Disziplin, mit der wir das Qualitätsmanagement und die Produktentwicklung unterstützen. Mit dieser Art von Wissen und Herangehensweise ist es uns gelungen, die wirtschaftliche Praxis in den meisten Anbauländern und deren Kaffeebauern, die den Kaffee direkt an uns verkaufen, zu ändern. Das ermöglicht uns, wirklich einzigartige Kaffees mit höchster Qualität herzustellen. Dazu haben wir auch die Unvesità del Caffè gegründet, die nun 20 Jahre alt ist.
Wo befindet sich die Universität?
Das Headquarter befindet sich hier in Trieste. Wir haben zwei Räume, einen für die Management-Kurse und einen für die Master, denn wir bieten einen Master-Abschluss in Kaffeewirtschaft, der weltweit der einzige ist. Daneben haben wir weitere 28 Standorte auf der ganzen Welt, in den meisten Ländern, in denen wir unseren Kaffee verkaufen, von Brasilien bis China.
Wie viel Einfluss haben Sie auf die Produktion von Kaffee und auch beispielsweise auf das Thema Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit ist uns sehr wichtig. Wir haben vor über 20 Jahren mit dem Studium der Qualität begonnen, die ebenfalls zu einer nachhaltigen Qualität wurde. Man kann das eine nicht ohne das andere haben. Vor kurzem haben wir begonnen, uns mit der Anpassung an den Klimawandel und dessen Bekämpfung zu befassen, denn die meisten erfolgreichen Maßnahmen der Minderung des Klimawandels sind auch gut für die Anpassung. Ebenso geht es um den kulturellen Wandel. Der größte Teil des Kaffees, den wir aus Brasilien beziehen, ist sehr produktiv. Den Landwirten beizubringen, wie sie von einem Modell der Superproduktivität zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft übergehen können, ist auch in Bezug auf Chemikalieneinsatz und Düngemittel äußerst anspruchsvoll. Unser Ziel ist es, im Jahr 2033 CO2-frei zu sein, denn dann wird unser 100-jähriges Jubiläum sein und wir wollen es mit diesem Meilenstein feiern. So arbeiten wir in den letzten Jahren sehr intensiv daran mit einem Modell namens Virtuous Agriculture, das den konventionellen mit dem ökologischen Landbau verbindet. Wir müssen die Landwirtschaft neu erfinden, um der Umwelt zu helfen, die Umweltschäden zu verringern und gesunde Lebensmittel zu erhalten.
Wir leben in einer Zeit des Wandels. Die Produkte, die wir kaufen, verändern sich, die Kommunikation und auch das Essen. Was denken Sie über die Entwicklung der Kaffeekultur?
Ich denke, die junge Generation trinkt dank der besseren Qualität heute viel mehr Kaffee als zum Beispiel vor 20 Jahren. Es gibt viele junge Baristas, die mit neuen Rezepten experimentieren. Diese positive Entwicklung des Kaffees ist international. Die Menschen sind mehr an der Geschichte des Kaffees interessiert, den sie trinken, wo der Kaffee angebaut wird, ob er nachhaltig ist und so weiter. Noch ist es eine Nische, aber eine Nische, die den Rest des Marktes beeinflusst. In den letzten zwei Jahrzehnten konnte der Kaffee die drei Eigenschaften stärken: Qualität, Gesundheit und Nachhaltigkeit. Genuss dank besserer Qualität, einem viel reichhaltigeren Angebot, vielen Mischungen und Röstungen, Herkunft – was auch immer man will – und einer viel besseren Zubereitung, die es ermöglicht, eine hohe Brauqualität zu erhalten.
Das zweite ist die Gesundheit. Mittlerweile ist klar, dass Kaffee gut für die Gesundheit ist. Er lässt dich besser und länger leben. Du bist gesünder und inspirierter. Es gibt so viele Studien, die dies bestätigen, ebenso ist Kaffee gut gegen Krebs, Diabetes und so weiter. Sogar die Lebensmittelbehörden bestätigten dies.
Letzteres ist die Nachhaltigkeit, die sich in den letzten 20 Jahren deutlich verbessert hat und ebenso die Lebensumstände der dort arbeitenden Menschen. Es gibt viel mehr Bildung und Arbeitssicherheit. Die Nachhaltigkeit wird allerdings durch zwei Dinge bedroht: zum einen durch den Klimawandel, der sich deutlich auf die Kaffeekultur auswirkt, und zum anderen durch den wirtschaftlichen Aspekt. Die Preise steigen und sinken.
Der Aspekt des Teilens ist sehr interessant. Vor allem jüngere Menschen lieben es zu teilen (Carsharing, Couch-Surfen). Finden Sie es auch interessant, dass Kaffee auch unter jüngeren Menschen gerne geteilt wird?
Ja. Zuerst einmal ist Kaffee das wahrscheinlich umfassendste Produkt, denn es geht wirklich um das Sozialisieren. Die Menschen kommen zusammen, trinken Kaffee und teilen diese Erfahrung miteinander. Kaffee ist das perfekte Getränk für Inklusivität und Austausch.
Ich habe Ihr Buch „Der Traum vom Kaffee“ gelesen und habe gehört, dass Sie bereits ein neues veröffentlicht haben. Wird dies auch ins Deutsche übersetzt?
Mein zweites Buch heißt „Italia felix“. Es konzentriert sich speziell auf Italien; warum Italien nicht das glücklichste Land der Welt ist und was fehlt, um es zu werden. Was wir brauchen, ist ein Umdenken, denn wie im Buch erklärt, neigen die Italiener dazu, sehr hedonistisch und individualisiert zu sein. Wenn man so ist, hat man es schwer, in einer solch komplexen Welt zu leben. Wir Italiener sind nicht gut darin, uns in Netzwerke hereinzudenken, wie es die Deutschen oder Japaner tun. Zweitens sind wir uns des Reichtums unseres Landes und der damit verbundenen Möglichkeiten nicht ausreichend bewusst. Wir glauben, dass wir wegen der Politik ein armes Land sind und sind nicht wirklich stolz auf unser Land. Der Grund, warum ich dieses Thema gewählt habe, ist, dass ich das Privileg habe, bis Ende des Jahres bei Altagamma den Vorsitz zu haben und möchte als Geschenk sowie Inspiration dieses Buch hinterlassen.
Ich denke, es wäre interessant, Altagamma und die Idee des italienischen Luxus auch in andere Länder zu bringen.
Wir sind dabei… Ich würde sagen, dass von den internationalen Besuchern in Italien die Deutschen nicht nur quantitativ die Nummer eins, sondern auch die leidenschaftlichsten sind. Sie nehmen Erinnerungen und viele Produkte mit nach Hause, und vor allem kommen sie wieder. Besonders in den Kunststädten wie Venedig, Rom und Florenz findet man viele Deutsche, sowie immer mehr im Süden, der Toskana oder Sizilien. Viele deutsche Unternehmen sind von italienischen Erfahrungen inspiriert. Deutschland ist das Land Nummer eins für den italienischen Export. Sie bringen uns Wissen und Technologie und wir bringen ihnen Schönheit und Lifestyle. Ich habe viel Respekt vor den Deutschen.
Könnten Sie sich auch vorstellen, in Deutschland zu leben?
Ich könnte mir total vorstellen, dort zu wohnen. Ich lebte sieben Jahre in der Schweiz, was mir gefiel, aber ich würde nicht zurückgehen, weil es mir zu klein war. Ich könnte mir auch vorstellen, in Japan zu leben. Wenn du in ein anderes Land ziehen willst, musst du die Möglichkeit haben, etwas zu tun. Je größer also das Land, desto mehr Möglichkeiten hast du. Obwohl Japan im Vergleich zu Deutschland in Bezug auf Schulden, Bevölkerungsrückgang und so weiter eine eher schlechte Performance hat.
Die Deutschen sind auch von Japan inspiriert. Die Japaner geben uns eine Vorstellung von Respekt und wie wir über das Leben nachdenken können.
Ich denke, die Essenz Japans ist die Harmonie. Ich war etliche Male dort. Alles ist auf Harmonie ausgerichtet. Harmonie mit dem Kosmos und im Allgemeinen, mit der Natur, mit der Welt und den Menschen. So ist alles in Verbindung auf dieses Konzept ausgerichtet. Die Japaner haben nicht einmal ein Wort für „nein“.
Lassen Sie uns noch mal über Glück sprechen. In Dänemark leben die glücklichsten Menschen der Welt. Was denken Sie, warum die Menschen in einem nördlichen Land glücklicher sind als in Italien?
Nun, ich denke, es ist eine Kombination von Fakten. Erstens haben sie ein sehr gutes Verhältnis zur Natur, sie sind nicht überbevölkert und haben eine sehr solidarische Gesellschaft. Die Menschen kümmern sich umeinander. Die Italiener sind sich der „Gaben“, die sie haben, nicht bewusst. Es gibt keine Art von sozialer Solidarität und wir haben kein helles Zukunftsbild, weil wir immer wieder sagen, dass Italien ein Land ist, das in Schwierigkeiten steckt, arm ist und nicht wächst. Wir glauben nicht an uns selbst. Glück ist etwas Tiefgründiges, es passiert nicht zufällig. Man muss das Glück kultivieren. Es ist eine Entscheidung, glücklich zu sein. Wenn man sich entscheidet, glücklich zu sein, kann man sein Leben und seinen Lebensstil organisieren, um glücklich zu sein. Wenn du dich nicht entscheidest, glücklich zu sein, dann lebst du wahrscheinlich auf eine andere Weise. Und natürlich, um glücklich zu sein, muss man sich auf eine bestimmte Weise verhalten, was nicht gerade die italienische Art ist. Leider haben wir eine große politische Instabilität, und das verursacht Unsicherheit unter den Menschen.
Was hat Kaffee Ihrer Meinung nach mit Glück zu tun?
Ich beendete das Buch mit dem Traum, dass Kaffee das wahre Getränk des Glücks wird, und es gibt einen guten Grund dafür. Epikur schuf eine Philosophie des Glücks, bei der es darum geht, das kleine Vergnügen des Lebens zu pflegen. Es gibt drei Kategorien von Vergnügen: natürlich notwendig, natürlich unnötig und unnatürlich unnötig. Epikurs Philosophie hat das Unnötige streng vermieden und genießt so viel wie möglich vom Natürlichen. Das bedeutet, es geht nicht um Herabwürdigung, sondern um das genaue Gegenteil – um die Freude an den kleinen Dingen im Leben zu maximieren. Kaffee ist eine kleine Sache im Leben, aber es ist ein sinnliches, mentales und psychologisches Vergnügen, denn er inspiriert uns wirklich mit positiver Energie, Kreativität, guter Laune, sozialer Aktivität und so weiter, Kaffee ist ein gesundes und offizielles Getränk der Kultur, es ist ist wie eine Nahrung für Gedanken. Immerhin war es das erste tropische Agrarprodukt, das dazu beitrug, Menschen aus der Armut herauszuholen. Alles in allem denke ich, dass wir alle die gleiche Vorstellung teilen, dass Kaffee das offizielle Getränk des Glücks sein könnte. Und wenn du es träumen kannst, kann es passieren.
Ist es wahr, dass Sie erst vier Jahre alt waren, als Sie Ihren ersten Kaffee probiert haben?
Eigentlich denke ich, dass ich zwei Jahre alt war. Ich beobachtete meine Mutter bei der Zubereitung ihres Espressos und ich liebte den Duft des Kaffees beim Mahlen der Bohnen. Die Küche duftete so gut und das hat mich sehr angezogen. Also probierte ich zum ersten Mal Kaffee, allerdings mit viel Zucker (lacht).
Der Beitrag L’ALCHIMISTA DEL CAFFÈ erschien zuerst auf Food.