Von Delilah Werdermann
Heißer Sand, warme Temperaturen, perfekte Bodys mit einem coolen Drink in der Hand und als Kulisse die legendäre Copacabana. Der sichelförmige Strand ist von Rio de Janeiros Einwohnern mit Leben erfüllt und plötzlich… Schnitt. Ein eiskalter Windhauch, und zu hören ist nur die Stille. Statt Menschenansammlungen gibt es Massen von Schnee und Eis sowie die schweigsame Natur der Antarktis. Heiß auf Eis – das ist die brasilianischen Forschungsstation Comandante Ferraz.
Das sogenannte King George Island, die größte Insel im Archipel der Südlichen Shetlandinseln, ist kein Ort, den man in Reisekatalogen finden würde. Dort, wo sich Pinguin und Robbe „Gute Nacht“ sagen, findet man Menschen lediglich in dem einzigen chilenischen Dorf Villa Las Estrellas (was ironischerweise „Sternenstadt“ bedeutet) und in den unzähligen Antarktisforschungsstationen. Eine von ihnen ist die Estação Antártica Comandante Ferraz (EACF) aus Brasilien. Betrieben wird die 3.200 m² große Station von der brasilianischen Marine im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie. Als sicherer Platz, als eine Art zu Hause und als Schmelztiegel für wissenschaftliche Forschungen erhebt sie sich inmitten der Eismassen.
Dabei wurde die Station im wahrsten Sinne des Wortes neu aus dem Boden gehoben: Ursprünglich 1984 gebaut, wurde sie 2012 von einem Feuer zerstört. Der Neubau ist nicht nur ein Symbol für die brasilianische Präsenz mitten in der Antarktis und innerhalb der internationalen Forschungswelt, sondern auch eine Chance für ein neues architektonisches Projekt. Alles unter der Prämisse: „Brazil’s new home in Antarctica.“ Dabei standen die Architekten des Estúdio 41 vor ganz anderen Herausforderungen als bei einem exklusiven Wohn- und Geschäftsgebäude in den Metropolen. Die unberechenbare Natur der Antarktis, die extremen Witterungsbedingungen und gegenüber das doch so fragile Leben der dort arbeitenden Menschen in einer menschenunfreundlichen Umgebung.
Sowohl technische als auch menschliche Herausforderungen wurden bis an ihre Grenzen getrieben. Denn genauer gesagt befindet sich die Comandante Ferraz auf der 265 Meter hohen Keller-Halbinsel des King George Islands, weshalb die Topographie ein weiteres Extrem beim Bau war. Jedoch behielten die Architekten stets die Flora und Fauna im Blick, um den menschlichen Einfluss auf ein nur nötiges Mindestmaß zu reduzieren. Zu Beginn der Arbeiten sagte Emerson Vidigal, Chefarchitekt von Estúdio 41:
„Der Entwurf entspricht den Herausforderungen, die ein solch extremes Klima an die Durchführung technologischer Arbeiten stellt. Die Ästhetik der Anlage kommt dabei nicht zu kurz, sodass ein angenehmes und sicheres Arbeitsumfeld entsteht. Unter Berücksichtigung der Topographie des Standorts haben wir einen Entwurf geschaffen, der die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt der näheren Umgebung minimiert und gleichzeitig eine optimale Wohn- und Arbeitsumgebung bietet.“
Das Resultat sind jetzt blockartige Gebilde, die ein wenig an die Kulissen der amerikanischen Vorstadtfilme erinnern, doch mit durchaus wohnlichem Charakter: Das höchste Gebäude beheimatet Schlafkabinen, mehrere Servicebereiche sowie einen Raum zum Essen und für das soziale Miteinander, denn einsam sein ist für die brasilianische Lebensart eher ein Fremdwort und die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit bleibt auch in der Antarktis bestehen. Das untere Gebäude verfügt über Wartungsbereiche, Garagen, einen Abstellraum und insgesamt 17 Labore. An anderer Stelle befinden sich wiederum eine Bibliothek, ein Wohnzimmer, Cybercafé, ein Auditorium sowie Video- und Besprechungsräume.
Nun ist die Frage, woher die Elektrizität für die ganze Anlage kommt. Müssen Pinguine im Keller auf Fahrrädern für Strom sorgen? Nein, acht Windkraftanlagen im Südwesten der Basis sowie Photovoltaikanlagen im Norden sorgen dafür, dass hier nicht mal irgendwann das Licht ausgeht. Außerdem gibt es vor Ort verschiedene Wasseraufbereitungs- und Abfallverwertungsanlagen. Komfort ist anscheinend auch in der Antarktis möglich und das mit höchsten ökologischen Ansprüchen. Die ganze Anlage wird dabei von einem System aus Stahlstützen getragen, wobei das gesamte Gewicht in das Eis abgeleitet wird. Dazu gesellen sich die besondere Fassade aus verschiedenen Paneelen, die gegen Schnee, eisige Temperaturen und Wind schützt. Die verdeckt montierten, feuerverzinkten und beschichteten Stahlblechplatten wurden mit einer Polyurethan-Hartschaumdämmung verkleidet und stromlinienförmig angesetzt, um die Angriffsfläche möglichst gering zu halten. Dazu kommen tragende Wärmeelemente der Ingenieurfirma Afaconsult, die die Stahlkonstruktion verbinden. Ja, auch Rom wurde nicht an einem Tag gebaut!
Bereits im Januar 2020 wurde die Comandante Ferraz eingeweiht, doch bis zur vollständigen Inbetriebnahme müssen wir uns bis Ende 2021 gedulden. Und so ganz werden wir wohl nie erfahren, was sich hinter den Kulissen der Forschungsstationen abspielt, aber die Antarktis hat jetzt doch ein paar Geheimnisse preisgegeben. Zumindest die Tatsache, dass selbst das kochende Blut der Brasilianer das antarktische Eis nicht zum Schmelzen bringt.
Der Beitrag Fire and Ice erschien zuerst auf Quality Magazine.