Kawara: Auf den Tag genau

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„Welcher Tag war nochmal genau?“ Mittwoch oder Donnerstag? Und welche Uhrzeit ist eigentlich? Entweder steht der Wecker Kopf oder ich bin das! Dieses Problem kannte der japanische Künstler On Kawara nicht: Jeden Tag notierte er akribisch das aktuelle Datum, bis er 2017 im Alter von 81 Jahren starb (und nach seiner Berechnung mit 29.771 Tagen).

von Delilah Werdermann

Begonnen hatte diese Form der Kunst 1966 und bis zu Kawaras Tod entstanden fast 3000 rechteckige Tafeln mit 8 unterschiedlichen Formaten, die er ohne Schablone mit 4 Schichten Acrylfarbe zum Leben erweckte.

Blauer Acrylblock mit Datumsangabe von On Kawara

Blauer Acrylblock mit Datumsangabe

Der eigenwillige Künstler bevorzugte das Leben als Nomade, der im wahrsten Sinne des Wortes incognito unterwegs war. Kein einziges Interview gab er im Laufe seines Lebens, Ausstellungseröffnungen wurden gemieden. Nur wenige wussten, wer sich hinter dem Namen On Kawara verbarg. Diejenigen, die ihn kannten, schätzen aber seinen Humor und seine Geselligkeit.

Als Künstler liebte er das Reisen. Das Datum wurde in der jeweiligen Sprache des Landes notiert, das er gerade bereiste. Aufbewahrt wurden die Erinnerung in einer Schachtel mit einem Zeitungsausschnitt des jeweiligen Tages. Wurde er plötzlich und unverhofft gestört und konnte sein Werk nicht vollenden, zerstörte er es am Ende des Tages.

Manche privilegierte Künstler und Galeristen kamen in den Genuss, Post von Kawara zu erhalten. Telegramme dokumentierten „I am still alive“, auf Postkarten stand „I got up at“ mit einer detaillierten Zeitangabe.

Postkarte von On Kawara mit detaillierter Zeitangabe

Postkarte von On Kawara

Oft zitiert wird Kawaras Phrase, dass er seine Kunst als „eine Art Meditation betrachte, um sein Ich zu verlieren“. Sein 1999 veröffentlichtes Werk „One Million Years“ umfasst 20 Bücher, die sämtliche Jahreszahlen 1 Millionen Jahre vor und zurück in die Zukunft dokumentieren. Der erste Part trägt den Titel „For Those Who Have Lived an Died“, der zweite Part „For The Last One“.

Auf einer Seite befinden sich 500 Jahre und ein Menschenleben umfasst nur ca. 1/5 davon. Schon oft wurde „One Million Years“ laut vorgelesen, beispielsweise auf der Documenta11 in Kassel oder am Trafalgar Square in London.

On Kawara hält uns einen Spiegel vor die Augen, den nur wenige von uns ansehen wollen. Unsere Persönlichkeiten sind eine Aneinanderreihung von begrenzter Zeit in der Weltgeschichte, aber diese Zeit sollten wir nutzen und etwas Schönes und Einzigartiges daraus machen.

Weitere Informationen, Videos & einen Audio-Guide anlässlich der Ausstellung Silence (2015) finden Sie auf der Homepage des Guggenheim Museums.

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