Schmuck der vierten Dimension

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Der slowakische Schmuckgestalter Anton Cepka war seiner Zeit weit voraus. Bereits seit Mitte der sechziger Jahre lässt er einen dynamischen Effekt in seine Arbeit einfließen: Bewegung. Ausgestattet mit winzigen Ösen und Dornen, unterliegen seine Preziosen nicht nur einer permanenten Transformation. Sie weben zugleich den Zufall als immateriellen Rohstoff mit ein.

Schmuckstücke sind schimmernde Mischwesen aus Skulptur, Designobjekt und geschrumpfter Architektur. Ein Vorreiter dieser Disziplin ist Anton Cepka. Der 1936 im tschechoslowakischen Šulekovon geborene Gestalter ließ sich in seiner 50-jährigen Karriere weder auf eine bestimmte Technik noch auf eine einzelne Materialität festlegen. Silber, Edelstahl, Glas, Steine und Acrylglas wurden von ihm zu vielschichtigen Objekten verarbeitet, die stets eine dynamische Komponente mit ins Spiel brachten: Bewegung.

Anton Cepka verband die Einzelteile seiner Preziosen mit feinen, fast unsichtbaren Ösen und Dornen ließ sie so den Konturen des Körpers folgen. Schmuck verlor auf diese Weise seine autarke Erscheinung zugunsten eines wandelbaren wie unsteten Auftritts. Indem die Dreidimensionalität des Objekts um die vierte Dimension des Moments erweitert wurde, machte sich Cepka nicht nur den Zufall zum Komplizen. Auch die changierende Wirkung des Lichts wurde als immaterieller Rohstoff in seine tragbaren Kostbarkeiten eingewoben.

Dass der heute 79-jährige über den Tellerrad des Kunsthandwerkes hinauszublicken vermochte, war kein Zufall. Nachdem er sein Handwerk beim Schmuckgestalter Jan Nušl an der Kunstgewerbeschule in Bratislava erlernt hatte, ging er an die Akademie für Angewandte Kunst in Prag. Dort befreite ihn die Bildhauerin Alena Nováková von den tradierten Reglements des Kunsthandwerks und ließ ihn in die Raffinessen von Plastik, Skulptur, Relief und Raum tief eintauchen. Eine Folge dieses Prozesses war, dass Cepka ein besonderes Interesse an Oberflächen und Strukturen fand – und damit den Schlüssel für seinen späteren Erfolg.

Die Initialzündung geschah im Jahr 1963, als Anton Cepka mit dem Lötkolben erstmals dünne Silberstreifen zum Schmelzen brachte. Durch diesen chemischen Prozess bildete sich eine pulverartige, mattweiße Schicht, die sich über die Oberfläche des Metalls legte. Im Zusammenspiel mit der Schwerkraft erstarrte das Metall wie träge, abgekühlte Magma. Während der Zustand des Fließens eingefroren wurde, entstanden an den zu dünn gewordenen Stellen feine Löcher. Dieses unkontrollierte „Muster“ verlieh der Oberfläche eine besondere räumliche Tiefe, weil es Blickachsen auf tiefer liegenden Silberstreifen öffnete.

Silber blieb auch in den folgenden Jahren Cepkas bevorzugtes Material – wenngleich auch nicht ganz freiwillig. In der sozialistischen Tschechoslowakei wurden die Rohstoffe genau zugeteilt. An Gold heranzukommen, galt als außerordentlich schwierig, wenn nicht sogar als fast unmöglich. Und so konzentrierte sich Anton Cepka auf das weitaus leichter erhältliche Silber, über dessen Einkäufe und Verwendung er penibel Buch führen musste. Vorgaben wurden von staatlicher Seite auch in gestalterischen Belangen gemacht. So wurde den Schmuckgestaltern aufgetragen, Edelmetalle nicht mit Buntmetallen zu mischen, um so eine Abwertung zu verhindern.

Doch Reglementierungen haben schon immer die Phantasie beflügelt. Und so fand Anton Cepka einen Weg, wie er Silber eine ganz eigene Ästhetik abgewinnen konnte: im Suden mit dem Lotkolben. „Suden nimmt dem Silber eine seiner wichtigsten Charaktereigenschaften – das Spiel mit dem Licht, das es kostbarer erscheinen lässt. Stattdessen wirkt das Silber entemotionalisiert und technoid. Und damit bestens geeignet für Cepkas Objektwelt“, erklärt Dr. Petra Hölscher. An der Neuen Sammlung in München hatte sie jüngst eine umfassende Retrospektive über Anton Cepka kuratiert, die im kommenden Frühjahr im Kunstmuseum Bratislava Station machen wird.

Um die mehr als 200 Exponate der Ausstellung zusammenzutragen, mussten 15 Institutionen sowie zahlreiche Privatsammler rund um den Globus um Leihgaben gebeten werden. Der Grund für diese breite Streuung liegt in Anton Cepkas früher Wahrnehmung im Ausland, die just in München in Anlauf nahm. Als dort der frisch gebackene Absolvent der Prager Kunsthochschule 1964 den Bayerischen Staatspreis für seine Diplomarbeit erhielt, war sein Name schlagartig in der Schmuckszene bekannt. Vier Jahre später trafen auf dem internationalen Symposium im tschechoslowakischen Jablonec nad Nisou erstmals während des Kalten Krieges Schmuckgestalter von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs zusammen. Anton Cepka stiegt mit seinen ungewöhnlichen Preziosen zum heimlichen Star dieses Treffens auf und konnte so Kontakte zu anderen Gestaltern ebenso sammeln wie zu zeitgenössischen Schmuckgalerien wie der Galerie am Graben in Wien oder der Galerie Spektrum in München.

Waren es anfangs vor allem Oberflächen und Strukturen, die Cepka in den Bann zogen, ging er in den späten sechziger Jahren einen entscheidenden Schritt weiter. In einer Zeit, in der die ersten zivilen Düsenjets die Kontinente verbanden und im Weltraum der Wettlauf zum Mond ausgefochten wurde, galt als Inbegriff des Fortschritts vor allem eines: Dynamik. Mithilfe feiner mechanischer Verbindungsteile versetzte Cepka die Komponenten seiner Schmuckstücke in Bewegung, sodass sie sich nicht nur dem Körper anzupassen vermochten. Wie Alexander Calders Mobiles reagierten einige von Cepkas Preziosen auf winzige Veränderungen der Luftströmung und begannen so ein unvorhersehbares „Eigenleben“. „Schmuckstücke und Objekte tragen allesamt die Zeichen der heutigen Zeit. Sie sind ein Reflex auf die heutige übertechnisierte Welt“, beschrieb Anton Cepka seinen progressiven Ansatz, der ihn zum Vorreiter der internationalen Schmuckszene werden liess.

Obwohl der Großteil seiner Arbeiten abstrakt blieb, hinterließ die Raumfahrt mitunter sogar ganz gegenständliche Spuren. Einige Broschen sind mit Halbmonden bestückt, andere erinnern an miniaturisierte Flugobjekte. Cepka versierte sich vor allem auf das Zusammenspiel aus filigranen Metallgittern und geschlossenen Platten, für die neben Silber auch farbiges Acryl zum Einsatz kam. Das Gitter war es auch, das Cepka nutzte, um einen Sprung in den Maßstäben zu vollziehen und Skulpturen für den öffentlichen Raum zu schaffen. Doch seine Königsdisziplin blieb weiterhin die kompakte Dimension des Schmucks.

Mit kindlicher Freude gab er seinen Kreationen eine vermeintlich raue, industrielle Ästhetik auf den Weg. Dabei wurden die feinen Gitterstrukturen allesamt von Hand gesägt und überraschten mit einer höchst sinnlichen Haptik. Durch die Kombination mehrerer Gitter erweiterte Cepka die Fläche in den Raum und erzielte durch gegenseitige Überlagerungen spannungsvolle Moiré-Effekte. Auch sie waren ein wirkungsvolles Mittel, um seine Preziosen aus dem Zustand der Starre zu befreien.

Bei alledem schwebte immer auch ein Funken zivilen Ungehorsams mit hinein. Anstatt das staatliche Gebot der Materialreinheit zu befolgen, schuf Anton Cepka mit Vorliebe Hybride aus Silber, Acryl, Edel- und Halbedelsteinen. Während einige von ihnen an afrikanische Masken erinnerten, zeigten andere wiederum Ähnlichkeiten zu elektronischen Halbleiterplatinen. Viele dieser Arbeiten entstanden inoffiziell und wurden auch nicht in Cepkas ansonsten akribisch geführten Werksbuch aufgelistet. Als „Gastgeschenke“ gelangten sie zumeist unbemerkt durch den Zoll an Sammler in aller Welt. Aufgrund der Bekanntheit, die Cepka mehr und mehr erlangte, zeigten sich in den späteren Jahren auch die staatlichen Stellen toleranter und liessen den Querdenker der Schmuckszene bei seinen eigenwilligen Materialmixturen gewähren.

Und so fertigte Anton Cepka selbst aus Kieselsteinen, Glasscherben, Perlmutt-Knöpfen und Kunststoffverpackungen meisterhaft verarbeitete Werke – die ohne den chronischen Materialmangel in dem sozialistischen Land wahrscheinlich kaum entstanden wären. Anstatt über die Umstände zu resignieren, machte Cepka eben das Beste aus dem, was er bekam. Der Wert seiner Arbeiten lässt sich daher nur schwerlich in Karat bemessen. Sie sind vielmehr schimmernde Beispiele, wie Schönheit, Anmut und Fragilität – eben die Essenzen der Schmuckgestaltung – selbst mit einfachsten Zutaten geschaffen werden können.

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