Fragen Sie Chomsky!

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Fragen Sie Chomsky!

 

Die Omnipräsenz künstlicher Intelligenz ist mittlerweile nicht mehr zu leugnen und begegnet einem in wissenschaftlichen Forschungen, in der Industrie wie auch im eigenen Wohnzimmer. Bildbearbeitungsprogramme mit erstaunlichen Anwendungen, selbstparkende und – fahrende Autos bis zu virtuellen Assistenten im eigenen Heim. Es ist ein herausstechendes Zeitphänomen – das Unterfangen, Computer immer mehr mit menschlichem Lernen und Denken zu füttern. Diesem Phänomen widmet sich die Wissenschaftlerin und Dozentin Sandra Rodriguez künstlerisch und natürlich im Sinne der Sache ganz virtuell.

 

Die Performance – ein Mix aus Realität und Virtuellem erforscht sowohl die Hoffnungen als auch die Abgründe künstlicher Intelligenz. Die Besucher – perfekt ausgestattet mit einem VR-Headset – finden sich wieder im Zwiegespräch mit einem virtuellen überaus gutaussehenden Gesprächspartner, der durch das Geschehen führt, und den man ansprechen kann. „Ein zeitgemäßes Gespräch über KI, mit KI, durch KI – geführt von keinem Geringeren als Chomsky-AI“, äußert Sandra Rodriguez, die am Massachusetts Institute of Technology (MIT) die erste offizielle Klasse für immersive Mediengestaltung leitet.

  Die Performance beginnt, und man steht mitten in einer virtuell changierenden Natur. Eigentlich steht man dem Abbild Chomskys gegenüber und darf oder besser sollte ihm Fragen stellen. Chomsky AI bleibt keine wissenschaftliche Antwort schuldig, schöpft er oder es doch aus einem digitalisierten Wissen, bestehend aus 60 Jahren Arbeit, Forschung und Veröffentlichungen. Und wenn dann fundierte, passende Antworten heraussprudeln, setzt das Erstaunen ein, gemischt mit einem wohligen Unwohlsein darüber, was das da ist, was so intellektuell daherkommt. Die aufatmende Ernüchterung stellt sich ein, wenn die Antwort auf eine eher kontextfreie Frage vollkommen daneben liegt. ‚Doch nur eine blöde Maschine, die mir nicht das Wasser zu reichen vermag‘. Und beim Versuch Chomskys intellektuellen Redefluss zu bremsen, scheitere ich kläglich. Und was passiert eigentlich bei Fragen abseits der Wissenschaft, bei persönlichen, emotionalen Fragen? Das bleibt ein Geheimnis, dem Sie schon selber auf den Grund gehen müssen.

Doch warum ausgerechnet Chomsky? Linguist, Philosoph, Erkenntnisforscher, Essayist, Sozialkritiker und nicht zuletzt politischer Aktivist, vielerorts als Vater der modernen Linguistik bezeichnet. Seine interdisziplinäre Arbeit und Forschung legten den Grundstein für die analytische Philosophie und Kognitionswissenschaften, und beeinflussen bis heute eine Vielzahl an Bereichen, darunter Mathematik, Musik, Philosophie, Computerwissenschaften, Politik und ganz besonders auch den Diskurs und die Forschung in der Domain künstliche Intelligenz.

Während sich Forscher in der teils kontroversen Auseinandersetzung mit KI vor allem mit Denkprozessen beschäftigten, begann der damals noch sehr junge Chomsky mit seinem Projekt einer generativen Grammatik. Diese Theorie besagt, dass allen Sprachen eine universelle Grammatik zugrunde liegt. Dieser virtuelle Chromsky ist mit einer Chomsky-Sprachkompetenz programmiert. Doch wo liegen die Grenzen? Hat unser Gegenüber auch Gefühle und Stimmungen, oder handelt es sich dabei um rein vorgespielte Wahrnehmungserlebnisse, die aus einem reichhaltigen vorprogrammierten Fundus schöpfen? Chomskys KI, reich an 60 Jahren Daten, schöpft aus einem riesigen Arsenal digitalisierter und öffentlich zugänglicher Videos, Vorträge und Online-Materialien mit, von und über Chomsky.

 

Die Performance ist das Resultat der Forschung darüber, wie maschinelles Lernen funktioniert, was es zu replizieren versucht und wie es immer fetter wird, genährt aus unseren immer breiter werdenden digitalen Fußabdrücken. Mit diesem Projekt wirft Sandra Rodriguez vor allem zwei Fragestellungen auf. Zum einen, worin genau die Hoffnung der Replikation besteht, und in Konsequenz die Frage, was dabei in den Schatten gestellt wird.

„Künstliche Intelligenz wird als der unvermeidliche Weg in die Zukunft gepriesen, der die Art und Weise, wie wir mit Maschinen und untereinander interagieren, verändern wird. Aber KI ist auch ein Konstrukt – und ein sehr aufschlussreiches“, sagt Projektleiterin Sandra Rodriguez. Die Grenzen der KI treten klar in den Vordergrund, und es zeigt sich, dass diese Art von KI-getriebenen Narrativen gepaart mit virtuellen Kreaturen und Dialogschnittstellen noch am Anfang steht, aber sie lernen und lernen, werden weiter gefüttert und dadurch immer besser. Durch Innovation und Experimentierfreude schafft es die Performance die Rahmenbedingungen zu schaffen und Lücken in den Erzählzusammenhängen zu finden und gegebenenfalls zu verbergen, mit dem Ziel ein ganzheitliches kontextuelles Narrativ zu kreieren. Am Ende erschöpft sich Chomsky AI in seinen Antworten, doch konsequent zu Ende gedacht sollte er nach zu erwartenden hohen Besucherzahlen und nach der Fülle und Diversität der Fragen durch die Besucher schnell dazulernen und kontra geben können. Chomsky selbst ließ über das Sundance Film Festival Interesse und Wohlwollen über das Projekt verlauten, hat sich aber bis jetzt die Brille nicht aufgesetzt. Aber was in Gottes Namen sollte er sich auch selbst fragen?

Weltpremiere in Berlin: Das KINDL in Berlin Neukölln zeigt ab Freitag, 04. November 2022 Chom5ky vs Chomsky – a playful conversation on AI. Die Nachfrage ist enorm, das Zeitfenster sehr kurz. Die Performance läuft nur bis zum 20. November.

Chom5yk vs Chomsky

A playful conversation on AI

  1. bis 20. November 2022

KINDL

Zentrum für zeitgenössische Kunst

Am Sudhaus 3 – 12052 Berlin

 

Credits:

Bild 1: Podium – von links nach rechts: Marie-Pier Gaulthier, Producerin NFB, Sandra Rodriguez, Creator von Chom5ky vs Chomsky, Sebastian Huber, Schnelle Bunter Bilder Berlin, Louis-Richard Tremblay, Producer NFB , ©Quality Magazine

Bild 2 und Bild 4: ©Quality Magazine

Bild 3, Bild 5 und Bild 6: Digitales Rendering, VR-Anwendung, © NFB/Schnelle Bunte Bilder

 

by Violeta Berisha